Etwa im Jahre 1905, also sieben Jahre nachdem die letzte Sitzung, von der ein Protokoll vorliegt, stattfand, begannen die Bemühungen der Berliner Universität bzw. ihrer Bibliothek, das Archiv des Tunnels zu übernehmen. Denn so war es im letzten Abschnitt des Statuts (1835, S. 14 f.), der von der Auflösung des Vereins handelt, vorgesehen, wonach die "betreffenden Scripturen, Effecten und Bücher des Archivs ... der Universität hierselbst" zufallen sollten. Da das letzte "angebetete Haupt", Oskar Roloff, den Standpunkt vertrat, der Tunnel existiere noch, musste erst sein Tod (1911) abgewartet werden, bis im darauf folgenden Jahr das Archiv übernommen werden konnte.
Bestandteile des Archivs
Die bedeutendsten Bestandteile des Archivs sind die Sitzungsprotokolle und die "Späne"-Bände. Die literarischen Arbeitssitzungen wurden regelmäßig handschriftlich protokolliert, was Aufgabe des Sekretärs war, der auch zu Beginn einer jeden Sitzung das Protokoll der vorhergehenden verlesen und die Zustimmung dafür von den Mitgliedern einholen musste. Lückenlos liegen die Protokolle handschriftlich und in Halbpergamentbänden gebunden, für die Jahre 1827/28 bis 1855/56 vor (die "Tunneljahre" gingen jeweils vom 3. Dezember des Jahres, dem Stiftungstag des Vereins, bis zum 2. Dezember des folgenden Jahres).
Da der Verein seine Protokolle von 1856 an vervielfältigen ließ, sind für 1856/57 und 1857/58 und von 1858/59 bis 1875/76 gedruckte Sitzungsprotokolle vorhanden. Damit kann die Frühzeit sowie die Blüteperiode, die das fünfte und sechste Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts umfasst, als auch der Beginn des allmählichen Niedergangs genau verfolgt werden. Gegen Ende der 1870er Jahre hört die geordnete Tätigkeit des Tunnels auf, und es wurde auf den Druck der Protokolle verzichtet. Allerdings ist auch das sorgfältige Aufbewahren und Binden der Protokolle vernachlässigt worden, sodass für die Jahre 1876/77 bis Ende 1898 nur eine unvollständige Sammlung der Protokolle, die zumeist auf losen Blättern vorliegen, im Archiv zu finden ist.
Die "Späne"-Bände
Die "Späne"-Bände dokumentieren die in den Sitzungen vorgetragenen und der Kritik des Tunnels unterbreiteten literarischen Produkte der Vereinsmitglieder, wovon ein Exemplar abschriftlich im Archiv zu deponieren war. Zumeist liegen die Späne jedoch nicht von der Hand des Autors, sondern eines Abschreibers vor. Die Späne sind, ebenso wie die Protokolle jahrweise in Halbpergament gebunden, für die ersten zwanzig Tunneljahre (1827/28 bis 1846/47) vorhanden. Vereinzelte Lücken in der laufenden Nummerierung der Späne zeigen, dass allerdings auch für diese Zeit die Späne nicht ganz vollständig aufbewahrt werden konnten. Die Bestimmungen über das Hinterlegen der Späne im Archiv wurden in der Folgezeit gelockert, wodurch für die Jahre ab 1847/48 weniger und 1851/52 nur noch einzelne Späne in loser Form existieren.
Einen Überblick über das Vereinsleben des Tunnels und die Produktivität seiner Mitglieder geben die Jahresberichte. Diese so genannten Generalberichte, die der Sekretär vorzulegen hatte, sind entweder den Spänen beigebunden, oder aber in den Protokollbänden zu finden. Außerdem gibt es noch eine Mappe, die weitere handschriftliche Jahresberichte enthält.
Neben den literarischen Spänen existieren auch musikalische und die der bildenden Künstler. Die große Kunstmappe enthält Zeichnungen (z. B. kolorierte Bleistiftzeichnungen), Aquarelle, Lithographien, Kupfer- und Stahlstiche. In ihr befinden sich 69 verschiedene bildliche Darstellungen (insgesamt 121 Stücke), welche allerdings nicht sämtlich Späne gewesen sind. Herauszuheben sind die sechs farbigen Lithographien von Theodor Hosemann, eine Reihe von Zeichnungen Hugo von Blombergs, die Szenen aus dem Vereinsleben festhalten, sowie verschiedene Festkarten, die von Mitgliedern aus Anlass von Tunnel-Festen geschaffen wurden, darunter eine Festkarte von Adolph Menzel, von dem auch ein Entwurf zu einem Diplom für Wilhelm von Kaulbach, der zum Ehrenmitglied des Vereins ernannt wurde, stammt. Die musikalischen Späne (insgesamt 94) befinden sich in vier Mappen und liegen teils handschriftlich, teils gedruckt vor.
Literarische Sitzungen
Außer den sonntäglichen Sitzungen veranstalteten die Tunnelmitglieder auch verschiedene Feste, wie alljährlich am 3. Dezember das Stiftungsfest (Saphir hatte 1827 bereits an diesem Tag Freunde in seine Wohnung geladen und wohl bereits dabei seine Absichten zur Gründung eines Vereins kundgetan) sowie Faschings- und Eulenspiegelfeste, denn Eulenspiegel galt dem Verein als Schutzpatron. Zudem gab es noch das "Fest des Wettbewerbs oder der Preisdichtung", welches "eine Art Sängerkrieg" (Fontane, Von Zwanzig bis Dreißig, S. 163) darstellte. Bei diesen Festen wurden ebenfalls Reden und Gedichte vorgetragen, aber auch andere künstlerische Arbeiten vorgestellt.
Nur einiges davon ist erhalten geblieben, so sind z. B. die Materialien des 7. bis 10. Stiftungsfestes (1834 - 1837) und einiger anderer Feste in handschriftlicher Form vorhanden. Die Festschrift zum 25. Stiftungsfest (1853) liegt lithographiert und broschiert vor. Eine Mappe existiert überdies von den in den Anfangsjahren stattfindenden "cours d'amour", die nach dem Vorbild literarischer Wettbewerbe der mittelalterlichen Minnehöfe abgehalten wurden.
Außerdem befindet sich im Archiv eine kleine Sammlung von gedruckten und lithographierten Spänen, die jedoch nur für vereinsinterne Zwecke gedacht waren. Diese Gelegenheitsdrucke (oft von Liedern, die aus Anlass von Tunnel-Festen vervielfältigt wurden) waren meist nur wenige Seiten stark. Umfangreicher sind andere Vereinspublikationen, die zum Teil auch in vielen Exemplaren vorliegen:
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drei Bände der "Spenden aus dem Archive des Sonntagsvereins" von 1829 - 1832,
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ein Heft "Balladen und Romanzen" (1851), vier Hefte "Lieder zum Stiftungsfeste" (1851, 1852, 1856, 1857),
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ein "Liederbuch des literarischen Sonntags-Vereins zu Berlin" (o. J.) und
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zwei Berichte über Tunnel-Stiftungsfeste von 1883 und 1884/85.
Das zwischen 1833 und 1839 in loser Folge in vier Jahrgängen erschienene "Literaturblatt des Sonntags-Vereins", dessen Beiträger die Tunnel-Mitglieder waren, ist im Archiv für die Jahrgänge zwei bis vier zu finden.
Nicht-literarische Sitzungen
Organisatorische, Verwaltungs- und Personalfragen wurden in gewissen Abständen in nichtliterarischen Sitzungen, den sogenannten "Deliberations-Tunneln" verhandelt. Dabei ist ein Tagebuch, die "Anträge zur Deliberation", von 1835 bis 1894 geführt worden und liefert insbesondere für die letzten Jahre, für die Protokolle nur unvollständig vorliegen, interessante Informationen über das Vereinsleben und die Mitglieder in dieser Zeit. Was von der Korrespondenz des Vereins erhalten ist (287 Blätter), befindet sich in fünf kleinen Mappen. Darüber hinaus liegen Akten zu Personal-, Verwaltungs- und Kassenangelegenheiten im Archiv (zu Letzteren, z. B. die teilweise gehefteten "Acta der Kommission des Sonntags-Vereins zur Regulierung der laufenden und rückständigen Beiträge", Quittungen, Belege und Anträge auf Beitragserlass bzw. -stundung) und zudem neun Kassenbücher.
Statuten und andere Sammlungen
Statuten liegen, neben Statutenentwürfen und handschriftlichen Materialien zum Aufnahmezeremoniell, in zwei Fassungen vor: eine ältere, Handschriftliche und Gesiegelte vom 26.2.1832, die 44 Mitglieder unterzeichnet haben, und eine jüngere vom 8.4.1835, welche bis zum Ende des Tunnels gültig war und als Manuskriptdruck vorhanden ist.
Eine weitere Mappe versammelt alles Übrige für die Aufnahme Wichtige (z.B. Bestimmungen, Formulare). Wer als Gast in der Zeit vom Dezember 1852 bis zum Februar 1896 an den Tunnel-Sitzungen teilgenommen hat, kann dem "Fremdenbuch" entnommen werden, das in dieser Zeit geführt wurde.+
Mitglieder des Archivs
Mitgliederverzeichnisse sind in unterschiedlicher Form und für verschiedene Zeiträume vorhanden. Zunächst eines, das bis 1868 geführt wurde und 184 Mitglieder nennt, wobei das Zustandekommen des jeweiligen "Tunnelnamens" erläutert wird. Bei der Aufnahme in den Verein erhielt jedes Mitglied einen solchen Namen, "bei dem allein es im Tunnel zu nennen" war (Statuten, 1935, [[section]] 41).
Wahrscheinlich sollten durch die Verwendung der Tunnelnamen Unterschiede in der sozialen Stellung der Mitglieder im Vereinsleben weniger spürbar sein. Besonders drei im Archiv als Druckschriften erhaltene Übersichten über die Mitglieder, die Vorsitzenden und Sekretäre, die Späne und die diesen erteilten Prädikate sind erwähnenswert. Den Stand von 1852 präsentiert der "Anhang zu Petrarca's Geschichte des literarischen Sonntags-Vereins in Berlin" (Petrarca war der Tunnelname Ludwig Lessers), den Stand von 1857 die Schrift "Zur Statistik des literarischen Sonntags-Vereins in Berlin" und schließlich den Stand zum 50jährigen Jubiläum (1877) die 41 Seiten umfassende Zusammenstellung "Zur Geschichte des Literarischen Sonntags-Vereins `Tunnel über der Spree' in Berlin. 1827 - 1877".
Weiterführende Bestandsinformationen
Zum Bestand des Tunnel-Archivs muss auch die kleine Vereinsbibliothek gezählt werden, zu der 141 Bände gehören. Für sie existiert ein Katalog, der bereits von den Vereinsmitgliedern angelegt wurde. In ihm sind auch veräußerte Bände verzeichnet, denn aufgrund fehlender eigener Räumlichkeiten und des damit verbundenen Platzmangels des Vereins durfte die Bibliothek nicht zu groß werden, enthielt aber zeitweilig trotzdem mehr als 450 Bände.
Der Gesamtbestand des Tunnel-Archivs beläuft sich auf ca. 11.500 handschriftliche und ca. 500 lithographierte Blätter und etwa 1200 Stücke an gedruckten Materialien (incl. der Bände der Tunnel-Bibliothek).
Abschließend sei noch der Holzschrank erwähnt, in dem lange Zeit das Archiv aufbewahrt wurde und der ein Original aus der Tunnel-Zeit ist. Er besteht aus einem schreibtischartigen Unterteil mit 11 Schubfächern, auf die jeweils eine einfache Rahmung gemalt wurde. In den beiden Ecken des für den Sitzenden frei bleibenden Teils in der Mitte sind vorn zwei Veluten angebracht.
Der Aufsatz ist dreigeteilt. Auf der rechten Seite ist ein Spiegel, den eine Distel umrankt, dargestellt. Auf der mittleren und größten Tür ist der Vereinspatron Eulenspiegel, der von zwei Musen begleitet wird, zu sehen, von denen eine Leier mit sich führt. Außerdem ist über ihm eine fliegende Eule abgebildet.
Links dann ist ein Stiefelknecht, umgeben von Lorbeeren (zusammen mit der Leier das Attribut des Apollon, u. a. des Gottes der Poesie), erkennbar. Alle drei Türen sind mit einer aufgemalten Meanderrahmung versehen. Über ihnen befindet sich ein Fries mit Palmetten (gemalt).
Der Mittelteil kragt vor und wird rechts und links von korinthischen Säulen eingefasst, auf die Kandeluren gemalt und deren Kapitelle aus Metall bestehen. Das Giebelfeld ist mit einer arabeskenhaften Ornamentik bemalt, worüber sich eine ebenfalls gemalte Akanthusverzierung befindet. Die bildlichen Darstellungen, die am Schrank angebracht sind, können als Illustration zum Vereinsmotto "Ungeheure Ironie und unendliche Wehmut" verstanden werden.
Henrik Hofer 08.98